Corona „frisst“ Didaktik!?

20.08.2020

Bei allen Nachteilen, die das Corona-Virus mit sich bringt, gibt es auch positive Entwicklungen als unmittelbare Folge der nun seit über 6 Monaten andauernden Pandemie.

War die flächendenkende Einführung digitaler Wissensvermittlung in Unternehmen – und nur auf dieses Corporate Learning beziehe ich mich nachfolgend – bis Anfang 2020 ein eher zähes Unterfangen, so gibt es im Sommer 2020 kaum mehr ein Unternehmen, welches keine Erfahrungen mit Online-Schulungen via Zoom, Teams, GoTo-Meeting etc. gemacht hat.

Diese oftmals aus der Not geborenen Lösungen mussten in kurzer Zeit konzipiert, produziert und eingeführt werden. Konventionelle „Wasserfall-Prozesse“ vom Anforderungskatalog über die didaktische Konzeption zum Drehbuch und weiter über die Produktion bis zu den Tests und zum Roll-out schieden aus zeitlichen Gründen von vorneherein aus.

Und selbst agile Prozesse wurden noch agiler, indem auf die Einbindung von Disziplinen wie der Didaktik verzichtet wurde – bewußt oder auch unbewußt. Die Ergebnisse waren nicht immer optimal – wenn z.B. eine Präsenzschulung 1:1 in eine Online-Videokonfrenz konvertiert wurde. Aber es gab dafür jetzt Ergebnisse; viel mehr als in den Monaten und Jahren zuvor.

Diese „E-Learning“-Angebote entstanden überwiegend in den Unternehmens selbst. Die Budgets für externe Dienstleister waren Corona-bedingt zusammengestrichen worden. Viel Zeit zum Lernen  blieb den inhouse-Produzenten  auch nicht. Also mussten die Werkzeuge einfach zu bedienen sein. Und wieviele Unternehmen leisten sich Mitarbeiter/innen mit pädagogischen Hintergrund und Erfahrungen in Mediendidaktik? Als Resultat erstellten z.B. Produktexperten in Zusammenarbeit mit Dualen Studenten innerhalb eines Tages inhouse ein sehr authentisches Schulungsvideo.

Der Leiter der Academy eines internationalen Herstellers von Medizintechnik erzählte mir, dass sie vor Corona ein aufwendiges WbT erstellt hätten, bei dem ein international anerkannter Professor eine Operation mit den Geräten dieses Herstellers durchführt und das Ergebnis didaktisch und medientechnisch anschließend sehr aufwendig nachbearbeitet wurde. Dieses E-Learning haben anschließend nur wenige Personen gesehen. Im Gegensatz dazu hat ein Arzt mit seinem Handy die Operation eines Kollegen aufgenommen und direkt besprochen. Das unbearbeitete Video wurde unmittelbar anschließend online gestellt und in kurzer Zeit von tausenden Ärzten angeschaut.

Fazit

Im Umfeld des Corporate Learning hat die Didaktik einen schweren Stand – und Corona macht es ihr nicht leichter. Die Unternehmen wollen relevante Inhalte schnell und preiswert zur richtigen Zeit an die richtige Person bringen. Mediale und didaktische Qualität sind dabei eher „Sekundäranforderungen“.

Andererseits ist die heute weit verbreitete Methode von „Versuch und Irrtum“ (vulgo: Ausprobieren) Bestandteil der konstruktivistischen Didaktik – ganz ohne geht es also nicht.

Unsere Fragen nach der messbaren Wirkung von (E-)Learning und damit dem Lernerfolg bleiben nach wie vor in den aller meisten Fällen unbeantwortet. Erst wenn wir hier zu Fortschritten kommen, können wir begründen, welche Wege der Wissensvermittlung im jeweiligen Anwendungsfall einzuschlagen sind.